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2011/12/22

Maria Catharina Flint - Geschichte eines Romanprojekts

Den Anstoss zu diesem Projekt gab ein Literaturwettbewerb. Ausgeschrieben zum 31. Januar 2010 war ein historischer Roman. Unglücklicherweise erfuhr ich aber erst Anfang Dezember davon: unmöglich, in weniger als zwei Monaten (inklusive Recherche) eine ordentliche Arbeit abzuliefern. Da jedoch Schwierigkeiten mich immer umso mehr reizen, je größer sie sind, wollte ich das Projekt unbedingt in Angriff nehmen. Ich hatte nicht nur kein Thema, sondern bis dato überhaupt nichts Historisches verfaßt. Ein Krimi und zwei Kinderbücher schlummerten in der virtuellen Schublade, publiziert waren lediglich einige Kurzgeschichten.

Über Lebens- und Denkweise der Menschen in früheren Jahrhunderten meinte ich aber gut Bescheid zu wissen, denn ich hatte in meiner Jugend historische Romane en masse verschlungen. Das war damals, in jener fernen Zeit, als Belletristik noch die Qualität hatte, wirklichkeitsnah und glaubhaft geschrieben und sorgfältig recherchiert zu sein. Nicht zu vergleichen mit den bunten, reißerischen Abenteuerstories, die heute die Buchläden und Bahnhofskioske fluten und dabei vorgeben, historische Geschehnisse abzubilden. Meine Eingeweide rotieren, wenn ich mit mehr als abenteuerlichen Frauengeschichten konfrontiert werde, die nicht das mindeste mit der historischen Lebenswirklichkeit meiner Geschlechtsgenossinnen zu tun haben. Ich weiss: ich schweife ab, aber das musste mal gesagt werden.

Mit den besten Voraussetzungen also und viel Elan stürzte ich mich ins Stadtarchiv meiner Wahlheimat Stralsund. Die Vorauswahl an möglichen Themen gewann "Maria Flint". Die ledige Näherin wurde vor fast 250 Jahren hingerichtet, weil sie ihr Neugeborenes getötet hatte. Wie ich in hier und da geführten Gesprächen bald erfahren sollte, ist ihr tragisches Schicksal noch heute jedem echten Stralsunder geläufig. Je tiefer ich ins Thema eintauchte, umso mehr wurmte mich aber auch die völlig falsche Überlieferung der Begebenheit. Denn selbstverständlich hatten vor mir schon einige Autoren das emotionsträchtige Thema bearbeitet, sogar ein niederdeutsches Bühnenstück existiert.

Die fehlerhafte Darstellung fängt schon bei dem Umstand an, dass "Maria Flint" ein stehender Begriff ist, obwohl ihr Rufname Catharina war. Die existierenden Romane – als Regionalliteratur von gewissem Bekanntheitsgrad – sind mehr oder weniger Phantasieprodukte. Da ich ein ganz klein wenig Perfektionistin und dito vom Besserwisser-Virus befallen bin, wollte ich das also alles viel besser machen. Vor allem liegt mir daran, das tägliche Leben der Menschen damals recht genau abzubilden. Der Leser soll die Handlung erleben, ja geradezu physisch spüren.

Schon im 18. Jahrhundert sorgte die Angelegenheit für viel Aufsehen. Und das war nicht nur der Tatsache geschuldet, dass der Mann (ein rügenscher Junker im Dienst der schwedischen Truppen), der die Hauptschuld an Catharinas Schicksal trug, mit einigen Kumpanen in einer Nacht-und-Nebel-Aktion die Delinquentin aus dem Gefängnis befreite, obwohl diese nicht befreit werden wollte. Sie hatte ihre Schuld nie geleugnet. Die jungen Herren Offiziere setzten Catharina im Morgengrauen mit etwas Geld versehen in der Nachtbarstadt in eine Postkutsche, bevor die Stralsunder sich recht berappelt hatten.

Natürlich wurde sie daraufhin steckbrieflich gesucht in "teutschen Landen". Aber zur zeitgenössischen Sensationsstory avancierte die Affäre erst, als Catharina nach cirka einem Jahr ans Stralsunder Stadttor klopfte – abgerissen und barfuß – und darum bat, nun ihre Schuld sühnen zu dürfen. D a s hat die Gemüter damals bewegt, und nicht wenige bekannte Persönlichkeiten verwendeten sich für sie, als das Todesurteil gesprochen worden war. Die Aufklärung war in vollem Gange, und man sah Hinrichtungen damals schon kritisch. Nach und nach schafften die Länder in diesen Zeiten zumindest die Tortur ab.

Manche Literaturforscher behaupten, die Begebenheit hätte den jungen Goethe zu seiner später entstandenen Figur "Gretchen" inspiriert. Ich bezweifle das allerdings - solche Frauenschicksale waren damals keine Seltenheit. Allerdings wurde dafür kaum noch die Todesstrafe verhängt und vollzogen.


Nun, was soll ich Euch sagen: natürlich habe ich den Abgabetermin nicht geschafft; und das Projekt träumte seitdem in Gestalt von Dateien, Notizen und unzähligen Zetteln vor sich hin. Von meinem Schreibtisch blicke ich seit 2 Jahren auf eine Wand, die gepflastert ist mit Kopien von Stichen, Schriftstücken, Gemälden aus dieser Zeit. Eine Karte von Stralsund und die meisten Stadttore sind darunter. Menschen in zeitgenössischer Kleidung. Die Rechnung des Henkers, der nicht, wie viele seiner Berufsgenossen, ein tumber Sadist, sondern ein gebildeter Mann war. Das alles ist nicht nur Zierde, sondern vor allem als Inspiration gedacht gewesen.

Und doch ist mir die Geschichte irgendwie untergegangen, bis Catharina zu ihrem 246. Todestag am 20. Dezember auf ihr Recht gepocht hat. Und nun darf ich die Sache nicht länger aufschieben.

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