SCHÖN, DASS SIE REINSCHAUEN ...
... hier erscheinen in unregelmässiger Folge Heiteres, Albernes, aber auch bissige Satire















2011/10/08

„Das Polen unserer Träume" ...

... so lautet der Titel des Buches von Jaroslaw Kaczynski, das wenige Tage vor der polnischen Parlamentswahl erschienen ist. Man kann träumen, aber man kann auch Wahnvorstellungen erliegen. Beides paßt nicht so recht für Staatslenker und solche, die es gerne wären. Kaczynski, der Vorsitzende der größten polnischen Oppositionspartei, "unterstellt Merkel großdeutsche Ambitionen" (welt.de). Deutschland wolle Polen angeblich unterwerfen. Diese Phantasie zieht sich in verschiedenen Variationen wie ein roter Faden durch seine Ausführungen. Die Online-Ausgabe der WELT schreibt dazu weiter: "Der frühere Ministerpräsident warnte zudem, die Deutschen strebten eine Wiedereingliederung des einst deutschen Westteils Polens an." Wenn ich mich recht erinnere, wurde im Vertrag zur Deutschen Einheit die Oder-Neiße-Linie "für alle Zeiten" als Westgrenze Polens anerkannt.

Vielleicht ist dem ehrenwerten Herrn K. auch entgangen, dass D in der EU der größte Nettozahler und P der größte Nehmer ist. Braucht es noch mehr Beweise? Wir haben sie doch bereits in der Hand! Deutsche Investoren in Polen müssen demnach wohl die Vorhut der bevorstehenden Invasion sein. Sie planen nach Kaczynskis Theorie vermutlich, sein Land Stück für Stück heimlich wegzutragen: „Wir könnten eines Tages in einem kleineren Polen aufwachen", schreibt er dazu. Außerdem scheint er seit dem Flugzeugabsturz, bei dem sein Bruder ums Leben kam, zum Spezialisten für nebulöse Verschwörungstheorien mutiert zu sein. In seinem Buch schrieb Kaczynski: „Ich glaube nicht, dass die Übergabe der Kanzlerschaft an Angela Merkel ein reiner Zufall war". Näher äußert er sich dazu nicht. Gesagt hat er nichts, und doch steht plötzlich ein Stasivorwurf im Raum. Von polnischen Journalisten darauf angesprochen, sagte Kaczynski nur: „Lassen wir das". Ein feiger Rückzieher. Oh,   i c h   l i e b e   solche Leute: Gerüchtebläser, die keine Argumente haben, die erst böswillige Andeutungen machen, und kneifen, wenn sie zur Sache kommen sollen. Ohne jeden Beweis bleibt doch das Opfer beschmutzt und beschädigt zurück. Gut, daß das Kanzleramt diese Anwürfe ignoriert hat. Das ist genau das, was sie verdienen.


Was steckt nun wirklich hinter den investigativen Erkenntnissen des Herrn K.? Ein großer, wichtiger und mächtiger Mann, geachtet und mit bedeutenden Fähigkeiten, zu sein, ist oftmals der Traum von Menschen, denen das gerechte Schicksal genau das Gegenteil zugedacht hat. Während er uns Großmannssucht unterstellt, ruft Jaroslaw Kaczynski seine Landsleute (laut polskieradio.pl) auf: "Die Polen müssen ein großes, stolzes Volk sein. Und heute stehen sie vor der Frage, ob sie diesen Weg beschreiten wollen oder nicht. Die Polen haben die Fähigkeit dazu, ein großes, stolzes Volk zu sein. Die Polen haben die Fähigkeiten zu mehr" Und außerdem haben sie diesen fanatischen Katholizismus. Also, meine Mutter würde jetzt mit einem Spruch kommen: "Was ich selber denk und tu', trau ich auch jedem and'ren zu." Im übrigen verfügen die Polen durchaus über einen ausgeprägten Patriotismus, den wir Deutschen so niemals wagen würden. Übertriebener (National-)Stolz kann aber zu Selbstüberschätzung und Verkennen der Realität führen.
"sueddeutsche.de" schreibt dazu: "Liebe zur Heimat, Hass auf die Nachbarn: Im polnischen Wahlkampf setzt Jaroslaw Kaczynski auf ein bewährtes Mittel - er schürt die Angst vor den Deutschen." 2005 hatten "die Kaczynskis" mit antideutschen Ressentiments Erfolg gehabt und die Wahlen gewonnen. Wahrscheinlich ist das Ganze nur ein Versuch, jenen Triumph über Tusk zu wiederholen.

Sollte Kaczynski die Quittung für seine Hetze erhalten - aber nicht so, wie er es sich erhofft? rp-online.de meldet am 07.10.: "Auf der Zielgeraden des polnischen Wahlkampfs ist die nationalkonservative Partei PIS von Oppositionsführer Jaroslaw Kaczynski in Umfragen zurückgefallen. Nach einer Prognose ... hat die PIS mit 29 Prozent einen Rückstand von zehn Punkten auf die rechtsliberale Bürgerplattform (PO) von Premierminister Donald Tusk."

Aber man hat den Ärmsten ja falsch verstanden und mißinterpretiert: Kaczynski will deutsche Medien wegen der angeblichen Verfälschung seiner jüngsten Äußerungen zu Bundeskanzlerin Angela Merkel verklagen. „Wir werden rechtliche Schritte unternehmen, um eine Entschädigung zu erhalten", läßt er verlautbaren. Da haben sich wohl auch alle polnischen Politiker, die ihn für seine Äußerungen angreifen (zum Teil scharf), aus deutschen Zeitungen informiert? Präsident Komorowski nannte K.s Bemerkungen "einen schädlichen Fehler", und empfahl ihm, sich zu entschuldigen. "Der polnische Ministerpräsident Donald Tusk warf Kaczynski vor, den guten Beziehungen schaden zu wollen und bezeichnete seine Bemerkungen als >traurig und beunruhigend<." schreibt focus.de und rp-online berichtet: "Die antideutschen Angriffe von Kaczynski wurden auch von mehreren Außenministern des postkommunistischen Polen in einem gemeinsamen offenen Brief zurückgewiesen."

Ungewöhnlich und wohltuend klingt dagegen die aus dem Wahlkampf stammende Aufforderung von Ministerpräsident Tusk an seine Landsleute:" Verlangt die Wahrheit und dass die Politiker mit euch von Angesicht zu Angesicht reden. Sie sollen sich nicht hinter ihren Bodyguards und Parteikollegen verstecken, sondern vor euch stehen und konkret auf Fragen antworten. Darauf, wie sie Polen durch die Krise lenken wollen und welche Erfahrung sie damit haben." Der liberale Politiker kann auf viele Erfolge seiner Amtszeit verweisen; nicht zuletzt darauf, daß er als Erster seit dem Ende des Kommunismus eine volle Legislaturperiode regiert hat. Er hat die Wirtschaft angekurbelt und die Krise bewältigt. Die Beziehungen zur Bundesrepublik und zu Russland, die in der Kaczynski-Ära gelitten hatten, hat er deutlich verbessert. Nicht zuletzt waren die Irritationen nach dem Flugzeugabsturz von Smolensk zu meistern. Die polnische Parlamentswahl an diesem Wochenende sollte auch uns interessieren.

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