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... hier erscheinen in unregelmässiger Folge Heiteres, Albernes, aber auch bissige Satire















2011/10/09

Der große Sohn einer kleinen Stadt


Das Otto-Lilienthal-Museum in Anklam
Eine Schulklasse strömt aus dem unscheinbaren Bau. Man vermisst das Gerangel und das befreiende Geschrei, die Erleichterung, dem miefigen Bau entronnen zu sein und dem Nichts-Anfassen-Dürfen. Kommen diese Kinder tatsächlich aus einem Museum?

Drinnen klärt sich das Rätsel: Ein Museum zum Anfassen! Die erste Abteilung ist „dem uralten Traum, sich zu erheben aus dem irdischen Jammertal" gewidmet. Sagenhafte Flugapparate hängen von der Decke, farbenfroh, wie aus einem Märchenbuch „entflogen". Neben Ikarus, Wieland dem Schmied, dem Schneider von Ulm, ein fliegender Teppich und ein persischer König, dessen Sänfte vier angekettete Adler tragen müssen.

An touch screens kann man sich über Lilienthals Biografie, die Geschichte des Fliegens und ähnliche Themen informieren. Lilienthal, 1848 in Anklam geboren, war später ein erfolgreicher Maschinenbaufabrikant („Spezialität: Gefahrlose Dampfkessel). So konnte er sich aufwändige Forschungsarbeit leisten. Als Erfinder meldete er zwanzig Patente an, darunter vier Flugapparate. Sein Buch „Der Vogelflug als Grundlage der Fliegekunst" ist bis heute ein Klassiker. 1894 begann er die Serienproduktion seines „Normalsegelapparates" und konnte sogar einige verkaufen. Am 9. August 1896 stürzte er aufgrund einer „Sonnenbö" (thermische Ablösung) ab und starb am nächsten Tag in der Charite´. Er war der erste Mensch, der nachweislich wie ein Vogel geflogen ist.

In der Halle, leider etwas beengt, überwältigend viele Modelle von Flugapparaten. Verschiedene Luftschiffe: Das allererste 1784(!) vom Franzosen Meusnier gebaut und mit Muskelkraft betrieben. Hätten Sie’s gewusst? Sämtliche Flugapparate Lilienthals - über ein Dutzend - originalgetreu aus Weidenruten und Leinwand nachgebaut, viele in Originalgröße. Für den Spieltrieb: Viele Versuchsmodelle, die der Besucher in Gang setzen kann: eine Feder fällt im Vakuum wie ein Stein zu Boden, ein im Luftstrom schwebender Styroporball. Ein Ballon wird per Schalterdruck mit Heißluft gefüllt. Herzklopfen, wenn er sich langsam entfaltet, allmählich prall wird, und schließlich aufsteigt. Ein Dorado für Physiklehrer. „Probieren Sie!" steht immer wieder an der Wand; so kann man in einen „Normalsegler" hineinschlüpfen und die Steuerung betätigen. Während Papa sich nicht losreißen kann, verfrachtet Mami die Kleinsten in die mit Lilienthal-Spielzeug ausgestattete Spielecke.

Zweite Etage: Das Vorbild Natur. Segelnde Pflanzensamen, Vögel, Fledermäuse, sogar Forellen und Stachelrochen haben Luftfahrtkonstrukteure animiert. Die vierte Abteilung befasst sich mit Familiengeschichte: schon der Vater war ein Genie, aber erfolglos. Otto und sein Bruder Gustav, der als gefragter Baumeister ganz Europa bereiste, stehen für zahlreiche Erfindungen. Das Nebelhorn, Hohlbetonsteine, den „Anker Steinbaukasten" und anderes Spielzeug, und vieles mehr haben sie gemeinsam oder jeder für sich entwickelt. Beide waren von einem sozialen Weltbild geprägt: Der Fortschritt sollte zu einer humanen Gesellschaft führen. Otto „erfand" die Gewinnbeteiligung seiner Arbeiter, Gustav die erste Wohnungsgenossenschaft.
 

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