SCHÖN, DASS SIE REINSCHAUEN ...
... hier erscheinen in unregelmässiger Folge Heiteres, Albernes, aber auch bissige Satire















2012/01/15

Hochstapler im Chinaimbiß

Im Chinaimbiß

Noch eine halbe Stunde, bis der Bus auf mein Rübendorf fährt – der letzte heute. Schnell noch in den Chinaimbiss! Glücklicherweise bin ich die einzige Kundin. So werde ich mich in wenigen Minuten einem versalzenen Reisgericht widmen können.

Kurz nach mir ist eine junge Frau hereingekommen, die ich zuerst gar nicht beachtet habe. Wartend wende ich mich ab, doch pötzlich spricht mich der „Chefkoch“ an. Ob ich englisch spreche. Ja, ein bißchen.

Die junge Frau: „Do you speak...?“

„Yes, I do.“

Der Koch verfolgt unseren Wortwechsel mit seinem asiatischen Permalächeln und nickt zu jedem zweiten Wort. Ganz offensichtlich versteht er nicht die Bohne. Ich selbst begreife aber auch nicht gleich, womit ich behilflich sein soll.

Die junge Frau, Chinesin, nehme ich an, will wissen, wo sie Sachen zum Kochen kaufen kann. Meint sie den „Schöttel&Pött“*-Laden drei Häuser weiter?

„Things for cooking wo einkaufen?“

Wir befinden uns mitten in der Innenstadt, alle Supermärkte sind weit, wie soll ich das jetzt beschreiben? Während ich noch überlege, legt die junge Frau richtig los. Ich bekomme gar nichts mehr mit.

„Could you speak a little bit slowlier, please.“

Sie lächelt und senkt das Tempo. Der Koch lächelt ebenfalls, meine Übersetzung begierig erwartend. Sein Deutsch beschränkt sich aber auf die paar Worte, die er braucht, um die Bestellungen aufzunehmen. Was ich ihm übersetze, versteht er nicht. Ich ringe nach einfacheren deutschen Wörtern, die ihm vielleicht bekannt sein mögen.

Die Chinesin wird ungeduldig, er versteht immer noch nicht. Und für mich ist das wichtigste, meinen Bus nicht zu verpassen. Wieso überhaupt brauchen zwei Chinesen untereinander einen Dolmetscher? Was soll der irre Umweg über deutsch und englisch? Ach ja, an der Tür steht ein vietnamesischer Name. Der Hochstapler ist gar kein Chinese!

Die verhinderte Kundin „Things for cooking“ wiederholt immer wieder ein Wort, das sich wie „daut“ anhört. Da ich diesem Klang kein mir bekanntes englisches Wort zuordnen kann, was sinngemäß hierher passt, und sie dabei immer den Koch anblickt, vermute ich, daß es ihr Heimatidiom ist.

„Something like salt.“

Endlich dämmert mir, worum es eigentlich geht. Sie meint Zutaten...

„... for chinese cooking?”

Begeistertes Nicken. Ich verstümmele mein Deutsch so gut ich kann, damit der gute Mann – immerfort lächelnd – mich verstehen möge. Ich bekomme aus ihm heraus, dass er seinen Spezialbedarf in Rostock oder Berlin einkauft. Weder ich noch die junge Frau können es im ersten Moment glauben. In jedem Supermarkt sind doch in einer geheimen Ecke merkwürdige, mit chinesischen Schriftzeichen versehene Zutaten verborgen! Als sie es endlich akzeptiert, ist mein gebratener Reis fertig. Ich ziehe mit dem schlabberigen Folienteller rüber an den Stehtisch, ernte vom Chef einen Sojasaucenverschwendungsblick.

Inzwischen wimmelt die Bude von Studenten, die alle nach uns gekommen sind. Eine junge Frau übernimmt jetzt das Übersetzen. Ich esse! Die neue Dolmetscherin hat aber keine Ahnung, worum es eigentlich geht.

„Something like salt.“

„Etwas wie Salz.”

Ja Schätzchen, das habe ich ihm vorher schon gesagt, hatte aber keinen Erfolg damit!
Die kleine Chinesin verzweifelt allmählich. Ansonsten herrscht heitere Stimmung in dem kleinen Laden. „Keep on smiling“ beim Koch.

Ich tippe auf das Schild neben mir an der Wand. „Alle unsere Speisen enthalten Natriummonoglutamat“. Das kann man als „so etwas wie Salz“ bezeichnen. Hätte ich „Glutamat“ gesagt, hätte er es sowieso nicht verstanden. Aber was da steht, weiß er. Jetzt strahlt er noch heftiger, denn er hat begriffen. Die Studentin guckt dumm aus der Wäsche. Die begreift überhaupt nichts. Heute darf echt jeder Idiot studieren!
Der Chef holt etwas herüber, das wie Zucker aussieht.

„Das ist Salz.“ Sagt die Studentin.

„Nein“, sage ich
.
„Nein“, sagt der falsche Chinese.

Die kleine Chinesin lächelt schüchtern vor sich hin, obwohl er es auffordernd unter ihre Nase hält. Da bin ich mal so frech und behaupte: „You can taste it!“
Zaghafter Versuch – und die Schlitzaugen leuchten!

Doch das war noch nicht alles. Sie braucht noch etwas. Er versteht wieder nicht. Wie erkläre ich ihm das Grundproblem, daß sie heimatlich kochen möchte, und ihr die entscheidenden Zutaten fehlen? Wobei ich nie geahnt hätte, daß man in China tatsächlich mit Glutamat kocht. Ich hatte das bisher für einen auschließlichen Fastfood-Kunstgriff gehalten.

„Noch anderes“, sage ich.

Sie: „Ja, andeles.“

Er begreift wieder nicht.

„Andeles, andeles.“

Mein Gott, warum kapiert er nicht? Ich tippe auf die Sojasaucenflasche. „Like this?“

Endlich erfasst der Imbißinhaber die Problematik. Er räumt alle seine kleinen Stahlschüsselchen vom Herd auf die Theke. Sie prüft eine Zutat nach der anderen. Etwas, das wie Trockenhefe aussieht, scheint das Richtige zu sein. Er macht ihr zwei kleine Päckchen aus Alufolie. Sie will bezahlen, er schüttelt den Kopf. Sie erklärt dreimal, sie will bezahlen, weil sie wiederkommen wolle. Die Studentin ist nicht fähig, das zu übersetzen, und ich muß mich schon wieder einmischen. Der Chef hat schon schon verstanden, lehnt aber eine Bezahlung immer wieder ab. Sie wolle auf jeden Fall morgen wiederkommen (will sie das etwa wirklich alles heute ins Essen schütten??), und dann bringe sie eben ein Geschenk mit.

„Gift?“ die Studentin guckt entsetzt. Wäre ja auch wirklich undankbar!

„A gift, ein Geschenk!“ werfe ich ein. Da begreift sie und erklärt es dem Koch.

Abwehrende Hände. „Nein, nein.“

Er reicht der Studentin ihre Chinapfanne zum Mitnehmen über die Theke. Es kommt wieder eine Frau herein. Wäre ja putzig, wenn das Gestammele jetzt wieder von vorn begönne, aber es scheint alles geklärt zu sein. Nach gegenseitigen Dankes- und Achtungsbezeugungen geht auch die junge Chinesin. Der Chef und ich tauschen einen Verschwörerblick.

Nun sorge ich mich: werden die beiden morgen miteinander klarkommen? Morgen fahre ich nämlich nicht in die Stadt. Obwohl es hier wirklich sehr unterhaltsam ist.


*niederdeutsch: "Schüsseln und Töpfe"


(Dieses Erlebnis wurde vor einiger Zeit niedergeschrieben - ich verwahre mich gegen jeden Verdacht, ich würde immer noch in einem Rübendorf wohnen!!!)

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